Die unrechtmäßigen Maßnahmen der USA und die Verpflichtungen der Internationalen Gemeinschaft
Wir in Iran stehen unter einem unrechtmäßigen und in seinem Kern feindseligen US-Sanktionsregime
Dr. Mohammad Javad Zarif
Außenminister der Islamischen Republik Iran
Wir in Iran stehen unter einem unrechtmäßigen und in seinem Kern feindseligen US-Sanktionsregime. Für uns wird es daher besonders deutlich, dass die derzeitige Regierung in Washington mitnichten einen Ansatz im Sinne einer Weltgemeinschaft gleichberechtigter Staaten verfolgt. Stattdessen geht sie gegen all diejenigen Staaten aggressiv vor, die für geltendes internationales Recht einstehen und sich nicht dem Druck der USA beugen wollen. Das zeigt sich derzeit sehr deutlich im Umgang der USA mit der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats – jener Resolution, die als rechtliche Grundlange des Nuklearabkommens dient.
Dieses Abkommen, bekannt als Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), brachte Iran gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland nach 12 Jahren unermüdlicher Diplomatie 2015 in Wien zum Abschluss. Das Abkommen wurde allseits als großer Durchbruch gefeiert. Die Welt sollte sich nicht weiter um das friedliche Nuklearprogramm Irans sorgen müssen, und die iranische Bevölkerung sollte vom Joch der unrechtmäßigen Sanktionen befreit werden. Um das Abkommen auf internationales Recht zu hieven, wurde von allen Parteien die UN-Sicherheitsratsresolution 2231 unterzeichnet.
Doch im Mai 2018 beschloss die US-Regierung einseitig ihren Ausstieg aus dem JCPOA. Dieser Ausstieg bedeutete gleichzeitig ein Verstoß gegen die UN- Sicherheitsratsresolution 2231. Doch damit nicht genug – die USA begannen, all jene zu diskreditieren und sogar mit Sanktionen zu bestrafen, die sich weiterhin an den JCPOA und die Resolution 2231 hielten. So konnte die Welt zusehen, wie erstmals ein Staat nicht nur gegen internationales Recht verstößt, sondern auch andere Staaten dazu bringen möchte, es ebenfalls zu tun. Ich warnte bereits letzten Monat im UN-Sicherheitsrat, dass dieser Zustand weder akzeptabel noch von Dauer ist und so nicht fortwähren kann.
Die USA versuchen, die Welt auf einen Irrweg zu führen, indem sie falsche Behauptungen und Anschuldigungen mit Blick auf das anstehende Ende des Waffenembargos als Bestandteil des JCPOA und der Resolution 2231 bemühen. Diese Desinformationskampagnen sollen vor gefährlichen Folgen für die Nachbarregion Irans warnen, obwohl es Washington eigentlich um etwas ganz Anderes geht: das Nuklearabkommen soll in Gänze zusammenfallen. Nachdem zwei Jahre „maximum Pressure” und ein brutales Sanktionsregime nicht erfolgreich waren, um Iran in die Knie zu zwingen und das Abkommen nichtig zu machen, sollen es nun abenteuerliche Methoden im UN-Sicherheitsrat richten. Nebenbei wird zudem in Zeiten einer globalen Pandemie Irans Zugang zu den eigenen Mitteln im Ausland verwehrt und Institutionen wie der Internationale Währungsfond davon abgehalten, Iran zustehende Sofortkredite zu erteilen, die das Land braucht, um den verheerenden Folgen der Covid-19-Pandemie beizukommen. Hierbei würden die USA sogar so weit gehen, um bestehende Mechanismen der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrats ad absurdum zu führen.
Wir befinden uns daher an einem kritischen Scheideweg, und es müssen folgende Aspekte bedacht werden:
Multilateralismus wird als Grundpfeiler der Vereinten Nationen von den USA fatal und nachhaltig unterwandert. Sofern ein Mitglied des Sicherheitsrats andere Mitglieder mit Druck dazu drängen kann, eigene Beschlüsse zu untergraben, nimmt dieses Gremium bleibenden Schaden. Es wird dann fraglich, wie diese für internationale Sicherheit so entscheidende Institution überhaupt zu Krisenzeiten funktionieren und respektiert werden kann.
Die USA haben bereits mit ihrem Rückzug aus der Weltgesundheitsorganisation – inmitten einer globalen Pandemie – deutlich gemacht, wie wenig sie an multilaterale Institutionen festhalten. Dieses Schicksal könnte die Vereinten Nationen ebenso ereilen, und hierbei werden westliche Verbündete der USA wiederholt vor den Kopf gestoßen.
Wir erleben, wie die USA ihre eigene Rechtsprechung in der Welt geltend machen wollen. So hat die US-Finanzbehörde Office for Foreign Asset Control mehr über europäischen Handel zu sagen als die dafür zuständigen Behörden in Brüssel. Dieses Phänomen geht weit über Fragen des JCPOA und der UN-Sicherheitsresolution 2231 hinaus und trifft auch auf Wirtschaftsbeziehungen mit China oder das Projekt Nordstream zu.
Sollte den USA gewährt werden, diesen Weg fortzuschreiten, gilt alsbald das Primat der Gewalt und der Macht statt der Diplomatie und des Multilateralismus. Die Großmächte aus der Zeit des Kalten Krieges sollten sich vergegenwärtigen, dass sogar die Logik der Gewalt ihre eigenen Grenzen hat. Beide Großmächte haben im 20. Jahrhundert erlebt, wie ihr internationaler Einfluss nachgelassen hat, z.B. infolge der militärischen Niederlage in Afghanistan, einem Land, dessen Bruttoinlandsprodukt 14 Mal kleiner ist, als der Jahresumsatz eines Unternehmens wie Apple.
Wenn die USA mit diesem Beispiel vorangehen, unilateral der Welt ihren Willen aufzudrücken und die Autonomie anderer Staaten (darunter Verbündete) zu untergraben, muss davon ausgegangen werden, dass dies Nachahmer findet und in eine gefährliche Spirale mündet. Das hat weit mehr als „nur“ politische Konsequenzen, wird die Dynamik der internationalen Unternehmerschaft drastisch beeinträchtigen und wäre ein deutlicher Rückschritt in einer globalisierten Welt.
Diese Box der Pandora sollte gar nicht erst geöffnet, oder möglichst schnell wieder verschlossen werden. Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und die internationale Staatengemeinschaft müssen sich zusammenschließen, um das internationale Recht hochzuhalten und zu verhindern, dass die Gesetze des Dschungels in die Welt der Diplomatie wirken.
Die Islamische Republik Iran hat deutlich gemacht, dass sie sich widerstandsfähig gegen Zwangsdiplomatie stemmt. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in den bevorstehenden Wochen und Monaten diesen Vorstoß der Amerikaner gegen geltendes internationales Recht zurückweisen und die diplomatische Errungenschaft der Resolution 2231 aufrechterhalten können. Nur dann können internationales Recht und Multilateralismus effektiv geschützt werden